Sagenhafte Almequellen
Ein Märchen für Kinder und Erwachsene
Station Entenstall
Es war einmal vor langer, langer Zeit als die Menschen noch mit dem Herzen sehen, hören und fühlen konnten. Da lebten in diesem Tal, das auch damals schon Mühlental
hieß, kleine fröhliche Menschen. Sie waren nicht größer als heute die zehnjährigen Kinder. Das hatte viele Vorteile: Sie konnten überall durchschlüpfen, sie brauchten nicht so viel Platz, sie konnten
sich gut verstecken und sie waren flink und wendig. Sie lebten hier viele, viele Jahrhunderte und waren glücklich und zufrieden, denn das Quellgebiet der Alme bot ihnen alles, was sie zum Leben und
fröhlich sein brauchten.
Und weil die Menschen damals mit dem Herzen sehen, hören und fühlen konnten, konnten sie sich auch mit all den Naturwesen wie Elfen, Nixen, Zwergen, Drachen und sogar mit den Bäumen und Pflanzen verständigen. Übrigens können wir das heute auch noch, wie müssen es nur trainieren. Es ist so, als ob wir eine Fremdsprache lernen würden. Zum Lernen gehört natürlich auch ganz viel Übung dazu. Dann können wir ebenfalls mit den Naturwesen, Pflanzen und Bäumen kommunizieren. Diese Wesen sprechen nur eine andere Sprache, eine Sprache, die du nur mit dem Herzen hören kannst. An manchen Tagen, zum Beispiel bei Vollmond, erinnert sich das kleine grüne Volk – so nennt man all die für uns unsichtbaren Naturwesen – wie es einmal war. Und dann trauen sie sich aus ihren Verstecken und kehren zurück in dieses Tal. Komm doch einmal bei Vollmond zum Quellteich. Aber du musst ganz, ganz leise sein und auch viel Geduld haben. Das kleine grüne Volk ist sehr vorsichtig geworden. Sie schauen sich die Menschen, denen sie sich zeigen wollen, ganz genau an. Und nur wenn du den „Ehrlichkeitstest“ bestehst, zeigen sie sich. Sei nicht traurig, wenn du sie nicht mit deinen Augen sehen oder mit deinen Ohren hören kannst, du kannst sie am ehesten mit deinem Herzen erspüren.
Auf unserem Weg um das Quellgebiet der Alme werde ich dir an verschiedenen Stellen erzählen, wie lustig das Leben hier einmal war. Vergiss mal alles, was Eltern und Lehrer dich gelehrt haben und höre auf dein Herz. Dann wirst du hier viele wunderschöne Dinge spüren, die dein Herz warm und fröhlich machen.
Los geht´s.
Station Wehr
Wäsche waschen mit den Nixen
Hier sind wir am Wehr oberhalb der ehemaligen Papierfabrik – die entstand erst viele, viele Jahrhunderte später – aber das Wehr gab es immer schon. Also hier am Wehr staute sich das Wasser der
Almequellen und damit war es hier auch viel tiefer. Das war der ideale Platz zum Wäsche waschen. Ich habe dir ja schon erzählt, dass die Menschen mit dem kleinen grünen Volk sprechen konnten. Aber
nicht nur das, sie lebten in einer fröhlichen Gemeinschaft mit ihnen. Wenn also Waschtag war, kamen die Nixen aus ihren Wasserhöhlen und halfen den Menschen. Schau einmal genau hin, dort zwischen den
Wurzeln um Ufer siehst du vielleicht einen Eingang zur Nixenhöhle. Der Waschtag war eine lustige Angelegenheit. Die Menschen warfen ihre schmutzige Wäsche einfach in die Alme und die Nixen packten
sich einen Wäschezipfel und schwammen damit durchs Wasser, sie warfen sich die Wäschestücke gegenseitig zu und klatschten sie auf die Steine. Das ging solange, bis alle Wäschestücke sauber war. Die
Nixen waren lustige Wesen und stets zu Schabernack aufgelegt. So flogen sie mit den Wäschestücken ganz dicht über die kleinen Menschen am Ufer und spritzten sie ordentlich nass und wer nicht
rechtzeitig in Deckung ging, bekam das Wäschestück auch mal ins Gesicht. Das war ein Lachen und Jauchzten, dass man im ganzen Tal hören konnte.
Nach dem Waschen kam das Trocknen. Das war genau so lustig. Weiter oben im Tal – wir kommen später dorthin – lebte eine Drachenmutter, Persephone, mit ihrem Drachenjungen Fumarius, der aber von allen
nur Fu genannt wurde. Fu konnte noch nicht richtig Feuer spucken und musste noch oft üben. Bisher kam nur lauwarme Luft aus seinem Rachen und…. Ihr könnt es euch denken: Diese Luft war ideal zum
Wäschetrocknen. Die Nixen hängten die Wäschestücke einfach in die Bäume und Fu pustete zwei- dreimal und alle Wäsche war trocken. Welch toller Wäschetrockner.
Station Nähe Pestfriedhof
Spielplatz Efeugarten
Hier im Efeugarten war der Spielplatz für die Menschenkinder. Du siehst hier überall Efeu, der an den Bäumen empor rankt. An manchen Bäumen hängen die Ranken einfach lose bis zum Boden. Das war immer
schon so und damit der ideale Spielplatz für die Menschenkinder. Die Ranken dienten als Schaukeln und man konnte auch mehrere zusammen binden, dann hatte man eine Traumschaukel. Du musst wissen, die
Lieblingsbeschäftigung der damaligen Menschen war das Träumen. Sie lagen in diesen Traumschaukeln und schauten in den Himmel, beobachteten die Wolken die vorbeizogen und waren einfach
glücklich.
Aber… hier spielten auch die Zwergenkinder. Zwerge waren immer schon ein Völkchen mit einem besonderen Humor. Besonderen Spaß machte es ihnen, die Knoten der Traumschaukeln zu lösen, wenn das
Menschenkind sich gerade weggeträumt hatte. Und … plumps, lag das Menschlein auf der Erde. Die Zwerge hielten sich in ihrem Versteck die Bäuche vor Lachen. Zwerge hatten eben diesen etwas ruppigen
Humor. Aber wer aber einmal ihre Freundschaft gewonnen hatte, dem halfen sie in allen Lebenslagen. Wir kommen später noch zur Zwergenhöhle.
Station Baum mit Grünspan
Schaut euch einmal diese tolle Wurzel an. Sie ist über und über mit Grünspan überzogen. Wisst ihr was Grünspan ist? Richtig es ist ein Belag auf kupferhaltigen Gestein. Es zeigt uns also, dass hier
im Berg Kupfer vorkommt. Und wer braucht Kupfer? Die Zwerge! Sie machen daraus wertvolle Schmuckstücke. Dazu später mehr.
Station große Quelle
Neptuns Höhle
Hier stehen wir an der größten der über 100 Quellen der Alme. Diese kommt direkt aus 500 Meter Tiefe. Sie bringt das reinste, wertvollste Wasser aus den tiefsten Gesteinsschichten, in denen sich das
Quellwasser seit Millionen von Jahren sammelt. Man glaubte: Alle Quellen auf der ganzen Welt sind tief im Erdinneren miteinander verbunden. Sie werden vom Gott des Wassers, von Neptun bewacht. Damals
in der Zeit von der ich dir heute erzähle, kam Neptun sehr gerne hier an dieser Quelle an die Erdoberfläche. Hier nahm er gerne ein Sonnenbad und ließ sich von den Nixen verwöhnen. Sie brachten ihm
frische Wasserlinsen, die er so gerne aß und kraulten ihm seinen langen Bart. Dann tauchte er wieder hinab in sein Reich und passt auf, dass nichts und niemand sein Wasser verschmutzte.
Station Seelenort
Seltsames Sprudeln an den Quellsteinen
Schau einmal genau hin. Was passiert hier unter den Steinen? Genau, du siehst lauter kleine, aufsteigende Luftblasen. Was kann das sein? Nun, ich verrate es dir. Es ist Neptuns Atem. Immer wenn er
ausatmet, kommen diese Luftbläschen an die Erdoberfläche und mit ihnen auch immer etwas Wasser. Neptun hat nämlich einen sehr feuchten Atem. Neptuns Atem ist etwas ganz Besonderes. Er enthält lauter
prickelnde Stoffe, die für Menschen und Tiere sehr heilsam und nahrhaft sind. Darum saßen die Menschen hier sehr gerne, ließen die Füße ins Wasser hängen und tankten so pure Lebenskraft. Versuche es
doch auch einmal. Du wirst merken, wie erfrischt und froh gelaunt du anschließend bist.
Station dicke Buche
Der Weltenbaum der drei Nornen
Immer schon stand an dieser Stelle ein ganz besonderer Baum. Auch unsere direkten Vorfahren achteten und verehrten den Baum an dieser Stelle, der immer dicke, knochige Wurzeln hatte, riesengroß
gewachsen war und stolz und majestätisch über das Tal wachte. Damals vor langer, langer Zeit stand hier der Weltenbaum, eine alte, riesige Buche – viel größer als heute. Der Weltenbaum war die
Verbindung zu allem und jedem auf der ganzen Welt. Wenn man mit einem Menschen sprechen wollte, der schon gestorben war – ging man zum Weltenbaum. Wenn ein Kind unterwegs war und man etwas über sein
Schicksal wissen wollte, ging man zum Weltenbaum. Wenn man ein Problem hatte, das man allein nicht lösen konnte, ging man zum Weltenbaum.
An seinen Wurzeln wohnten die drei Nornen, das waren weise, unsterbliche Frauen, die das Schicksal wie ein Fischernetz webten. Eine war für die Vergangenheit zuständig, die andere für die Gegenwart
und die dritte für die Zukunft. Man durfte sie immer um Rat und Hilfe bitten. Die Wurzeln des Weltenbaums reichten weiter bis in die Quelle, wo die Schlange der Unendlichkeit wohnte. Sie lehrte den
Menschen, dass sich alles im unendlichen Rhythmus wiederholt: Geboren werden, leben und sterben. Das gilt auch heute noch für alles auf der ganzen Welt, für alle Menschen, Tiere, Pflanzen und alle
Wesen.
Ganz oben in der Baumkrone wohnte der Adler, der von oben einen Überblick über alles in der Welt hatte. Und dazwischen, praktisch als Bote zwischen Adler und Schlange – turnte das Eichhörnchen
Ratatosk. Es erzählte der Schlange, was der Adler gesehen hatte und dem Adler, was die Schlange wusste. Aber… das Eichhörnchen Ratatosk war sehr vergesslich und so verdrehte es manches Mal die
Geschichten. Das wiederum brachte den Adler und die Schlange zur Weißglut. Wenn die beiden sich stritten, dann hat es im Mühlental gewittert und gedonnert.
Zwergenhöhlen
Schau einmal an diesem Nachfolger des Weltenbaums vorbei, hoch hinauf in das Geröllfeld. Siehst du dort die verschütteten Eingänge zu den Zwergenhöhlen? Hier lebte ein ganzes Zwergenvolk. Es waren
sehr kleine, etwas mürrische Gesellen. Aber das schien nur so auf dem ersten Blick. Sie hatten einfach eine etwas ruppige Art, aber sie sagten immer gerade heraus, was sie dachten. Wer sie einmal zum
Freund gewonnen hatte, konnte sich glücklich schätzen. Sie waren nämlich perfekte Künstler. Aus Edelsteinen, Gold und Silber schmiedeten sie die herrlichsten Schmuckstücke. Wenn sich ein
Menschenjunge in ein Mädchen verliebt hatte, bat er die Zwerge um ein verzaubertes Schmuckstück. Damit konnte er das Herz des Mädchens erobern und die Liebe hielt ein Leben lang. Alle liebevollen
Verbindungen in diesem Tal waren auf diese Weise besiegelt worden und darum herrschte zwischen allen hier lebenden Menschen die reine Liebe.
Station Abzweig Richtung Nehden
Das obere Tal – Reich der Schneekönigin
Wenn wir hier nach links abbiegen, kommen wir ins obere Tal. Das war das Reich der Schneekönigin. Wenn im Herbst alles geerntet war und die Pflanzen sich in ihrer Wurzeln zurückzogen, dann war es
Zeit für einen Winterschlaf. Unser kleines Menschenvolk zog dann immer zu Persephone in die Drachenhöhle und verbrachte dort die Wintermonate. Bei den Drachen war es immer schön mollig warm.
Persephone heizte mit ihrem heißen Atem immer gut ein. Die Schneekönigin schickte viele, viele Schneeflocken, die alles zudeckten und alles in einen tiefen Schlaf versetzten. Manchmal übertrieb die
Schneekönigin ihr Tun auch und sie wollte es einfach nicht Frühling werden lassen. Dann gab es einen lustigen Wettstreit zwischen dem feuerspeienden Drachen, der den Schnee schmelzen ließ und der
Schneekönigin, die immer neue Schneeflocken vom Himmel herab rieseln ließ. Die Menschen feuerten den Drachen an und schrien: „Persephone, Persephone schmilz hinweg den letzten Schnee!“
Station Wiese unterhalb des Eisenbahntunnels
Frühling im Mühlental
Dann wurde es endlich Frühling. Oh wie schön, überall schossen Pflänzchen aus dem Boden und öffneten ihre Blütenkelche. Der Bärlauch streckte seine Blätter durch die Laubdecke und aus den immergrünen
Rosetten des Pyränäen-Löffelkrautes erhoben sich die wunderschönen weißen Blüten. Beide Pflanzen gehörten zu den Lieblingsfrühlingskräutern aller Wesen, weil ihre Inhaltstoffe nach dem langen
Winterschlaf neue Lebensgeister weckten. Auf den Wiesen und Hängen wurde es bunt von der Vielzahl der Blüten.
Hier auf der Wiese unterhalb der Drachenhöhle lebte auch Jolande, die Blumenkönigin. Sie kannte alle ihre Pflanzen, wusste um die Heilkraft der verschiedenen Pflanzen und hatte für jedes Wehwehchen
das passende Kraut. Ihre Blumenwiese war gleichzeitig die Spielwiese der kleinen Elfen. In den Glockenblumen ließ es sich so herrlich schaukeln und der Fingerhut mit seiner langen Lippe war
eine ganz tolle Rutsche. Komm einmal im Frühling hierher. Vielleicht kannst du die Elfen lachen hören, wenn sie von Blütenkelch zu Blütenkelch fliegen.
Station Eisenbahntunnel und Wiese davor
Die Drachenhöhle
Lange, lange bevor durch diesen Tunnel die Eisenbahnschienen verlegt wurden, war diese Höhle die Wohnstätte der Drachenmama Persephone und ihrem Jungen Fumarius, genannt Fu. Ich habe ja schon ein
paarmal von ihnen gesprochen. Die zwei waren ganz friedliche Drachen, ja mehr noch, sie waren gut Freund mit den Menschen. Persephone hielt die Schneekönigin in Schach, damit der Frühling kommen
konnte. Sie bewachte das Tal vor Eindringlingen, die die Harmonie und das Glück aller Bewohner stören wollten. Im Winter durften die Menschen mit in ihre Höhle, wo es immer warm und mollig war. Ja
und der kleine Fu, der half beim Wäschetrocknen, er ließ die Kinder auf seinem Rücken reiten und war überhaupt ein toller Spielgefährte.
Und dann war da noch – der kleine Abakus. Er war ein besonders neugieriges Menschenkind. Er träumte von der großen weiten Welt und stellte sich vor, wie die Welt außerhalb dieses Tals wohl aussehen
möge. Und so überredete er eines Tages den kleinen Drachen Fu mit ihm einmal über das Tal zu fliegen – und – vielleicht auch noch ein bisschen weiter darüber hinaus. Fu sträubte sich. Seine Mutter
hatte es ihm ausdrücklich verboten, das Tal zu verlassen. Sollte er es wirklich wagen? Abakus bettelte und bettelte, bis Fu schließlich nachgab. „OK, aber wir fliegen nur über unser Tal, sonst
bekomme ich Ärger mit Mama.“
An einem schönen Frühlingstag, die Sonne war gerade aufgegangen, trafen sich Fu und Abakus hier auf der Blumenwiese. Abakus kletterte auf den Rücken des Drachens und hoch ging´s in die Luft. Von hier
oben konnte man alles auf einmal sehen: die Nixen am Waschplatz, wie Neptun gerade sein Sonnenbad nahm, wie Ratatosk, das Eichhörnchen, den Weltenbaum hinauf flitzte, um sich mit dem Adler zu
unterhalten…
Oh, der Adler flog gerade davon – viel weiter als der kleine Drache Fu sich traute. Da wurden die Neugier und die Sehnsucht des kleinen Abakus immer größer. So beschloss er, den Adler bald einmal zu
fragen, ob er bei ihm einmal mitfliegen dürfe. Aber zunächst genoss er erst einmal seinen luftigen Ritt auf dem Drachen. Etwas erschöpft landete Fu nach einer Weile wieder auf der Blumenwiese. Puh,
niemand hatte etwas von dem Drachenflug mitbekommen.
Station Quellteich
Elfentanz über dem Quellteich
Abakus träumte seit diesem Tag nur noch von einem Flug mit dem Adler. So belauschte er eines Nachts den Uhu, der hoch oben auf dem Uhus Felsen sein Nest hatte. Bubo, der Uhu, streifte in der Nacht
gerne über den großen Quellteich. Der war nämlich der Tanzplatz der Elfen und denen schaute er so gerne zu. Wie sie ganz graziös dicht über der Wasseroberfläche kleine Pirouetten drehten, wie sie mit
ihren fast durchsichtigen Flügelchen schwebten und wie lieblich sie dabei sangen. Das faszinierte ihn so sehr, dass er sich daran nicht satt sehen konnte. Bubo saß am Ufer auf einen weit übers Wasser
hängenden Ast und betrachtete die tanzenden Elfen, als Abakus sich von hinten anschlich. Ups, fast wäre er ins Wasser gefallen. „Was willst du denn hier, störe mich und die leibreizenden Elfen
nicht.“ „Ich möchte einmal über unser Tal hinaus fliegen. Kannst du mich mitnehmen?“ fragte Abakus. Die mürrische Antwort des Uhus lautete: „Das könnte ich wohl, aber es wird dir nicht viel nutzen.
Ich fliege nur nachts und da ist es dunkel. Da kannst du nichts sehen.“
Station gegenüber des Quellteiches
Liebesgrüße des Drachenvaters
Ich habe euch eben schon erzählt, dass das Pyrenäen-Löffelkraut zu den Lieblingskräuter aller Wesen zählte. Nun dazu gibt es eine besondere Geschichte. Als Persephone noch eine junge Drachendame war,
hatte sie Sehnsucht nach einem Partner. Aber hier im Mühlental lebten nur ihre Eltern und sie selbst. Und wenn Drachen Sehnsucht haben, sondern sie einen ganz eigentümlichen Geruch ab. Und weil
Drachen über viele, viele Kilometer solche Gerüche wahrnehmen können, hat der junge Hesperus, ein wunderschöner Gründrache, der im Pyrenäengebirge lebte, von diesem Botenstoff der Liebessehnsucht
Wind bekommen. So flog er den weiten Weg von Iberien bis hierher ins Mühlental. Als er Persephone erblickte entbrannte zwischen den beiden eine Liebe auf den ersten Drachenblick. Als besonderes
Geschenk hatte Hesperus das besagte Pyrenäen-Löffelkraut mitgebracht. Ihr müsst wissen, dieses Kraut wächst nur in den Pyrenäen und eben hier, weil Hesperos es mitgebracht hat.
Was soll ich sagen, nach einer wunderschönen Zeit des verliebten Turtelns legte Persephone ein Drachenei. Bis so ein Drachenei ausgebrütet ist, dauert es Jahrzehnt. So hockte Persephone tagein,
tagaus auf ihrem Ei und Hesperus langweilte sich. So wuchs die Sehnsucht nach seiner Heimat immer mehr und schließlich flog er schweren Herzens zurück nach Iberien. Persephone wäre gerne mitgekommen,
aber sie wollte er ihr Ei ausbrüten, den inzwischen regte sich schon etwas im Ei.
Damit die Trennung nicht endgültig war und sich die beiden liebenden Drachen immer wieder miteinander verständigen konnten, vereinbarten sie ein Ritual. Immer wenn einer von beiden Sehnsucht nach dem
anderen hatte, knabbert er ein Blättchen des Pyrenäen-Löffelkrauts. Und dann können sie den jeweils anderen tief im Herzen spüren, als wäre er da. Darum wächst hier das Pyrenäen-Löffelkraut, es ist
das ganze Jahr grün. Solange die Pflanze hier wächst, können wir hoffen, dass Persephone noch in diesem Tal lebt – auch wenn wir sie nicht mehr sehen.
Ach übrigens: Was glaubst du, ist aus dem Drachenei geschlüpft? Richtig unser kleiner Fu.
Station Entenstall
Riesen zerstören den Frieden im Tal
Nun wollt ihr noch wissen, ob Abakus sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte? So ging es also weiter: Mist an die nächtliche Dunkelheit hatte er nicht gedacht. Ein Ausflug mit dem Uhu brachte
ihn nicht weiter. Blieb nur noch der Adler im Weltenbaum. Ob er bis zu ihm hinauf klettern könnte? Ob die drei Nornen ihn daran hindern würden? Was meint ihr, hat er es geschafft?
Ich will es euch verraten, ja er hat es geschafft. Aber er war sehr enttäuscht, denn außerhalb seines friedlichen Tales, war die Welt kalt und grausam. Dort wohnten Riesen, die ständig miteinander
kämpften, weil jeder Recht haben wollte oder etwas mehr haben wollte als der Andere. Auch gab es viele schlimme Krankheiten und weil man im Reich der Reisen offensichtlich nichts von der Heilkraft
der Pflanzen wusste, nahmen sie Medizin ein, die sie noch kranker werden ließ.
Abakus schaute ihnen eine Weile zu und fragte dann den Adler: „Warum sind die Riesen so anders? Hast du gewusst, wie es hierzugeht?“ „Ja“, antwortete der Adler, „das ist der Grund, warum ich mein
Horst bei euch im Weltenbaum habe. Aber die drei Nornen sagen, dass wir nicht ewig in Frieden in unserem Tal leben können.“
Leider, leider hat sich die Voraussage der drei Nornen bestätigt. Eines Tages haben die Riesen das friedliche Almetal entdeckt. Mit den Riesen kamen Angst, Schrecken und viele Krankheiten. Viele der
kleinen Menschen sind gestorben, einige sind geschrumpft und leben jetzt im Zwergenreich. Das kleine grüne Volk hat sich versteckt und kommt nur noch an ganz wenigen Tagen und meistens in der
Dämmerung zurück zu ihren Spielplätzen, wo alles so lustig und fröhlich war. Die Drachen haben sich ganz tief in ihrer Höhle verkrochen. Keiner weiß, ob sie überhaupt noch leben. Man hat sie seither
nicht mehr gesehen. Der Weltenbaum wurde gefällt und so geriet alles aus den Fugen.
Gibt es noch Hoffnung? Die drei Nornen am Weltenbaum hatten diese Entwicklung voraus gesehen. Sie wussten, dass eine lange traurige, angstvolle Zeit kommen würde und viele dunkle Mächte die Welt regieren würden. Aber…. Sie wussten auch, dass diese Dunkelheit nicht ewig währen würde. Es gab einen Hoffnungsschimmer: Eines Tages, wenn die Menschen wieder lernen würden, mit ihrem Herzen zu sehen, hören und fühlen, dann, ja dann könnte alles wieder so wunderschön werden wie früher.
Nun war das ein Märchen? Oder eine Wahrheit, die wir nicht kennen und darum nicht daran glauben?
Wer weiß?!
Text und Fotos von Christiana Andree, eigens geschrieben für dieses wunderschöne Quellgebiet.
Autorin: Christiana Andree, Am Waldwinkel 9, 34431 Marsberg, Tel. 0173 86 466 18
Dieses Bild hat ein 6jähriger Teilnehmer nach der Wanderung gemalt. Es zeigt so schön die einzelnen Stationen. Ich bin begeistert von der kindlichen Fantasie.
Seine Mutter hat mir das Bildrecht übertragen.